Der erste Bürgerrat in NRW kommt!

Gemeinsam mit meiner Kollegin im Hauptausschuss, Verena Schäffer, der CDU sowie der SPD habe ich den Antrag „Lebendige repräsentative Demokratie – mit dem Bürgerrat demokratische Teilhabe stärken“ ins Plenum des NRW-Landtages gebracht. Ich freue mich, dass der Antrag beschlossen und mit dem Bürgerrat ein wertvolles Update der direkten Demokratie in NRW auf dem Weg ist. Besonders in den aktuellen Zeiten zeigt das: Unsere Demokratie ist lebendig und gibt zukunftsgewandte Antworten auf die antidemokratischen Angriffe der letzten Tage und Jahre.

Beim Bürgerrat zum Thema Ernährung auf Bundesebene kommen Menschen auf Augenhöhe ins Gespräch.
Foto: Deutscher Bundestag/Robert Boden/Liane Haug/Mehr Demokratie

Das Besondere am Bürgerrat: Als Format der informellen Beteiligung wird hier ein vertrauensvoller Raum geschaffen, in dem sich Bürger*innen abseits vom öffentlichen Polarisierungsdruck begegnen. Wie wertvoll es ist, wenn vielfältige Positionen aufeinandertreffen, durfte ich schon 2018 in der Kohlekommission erleben. In meiner Plenarrede zum Bürgerrat habe ich meine Lehren aus dieser Zeit und ihre Implikationen für den Bürgerrat so formuliert: 

„In einem Bürgerrat treffen Lebensrealitäten aufeinander und nicht vorgefertigte Positionen und Parolen. Das ist neu und ein wohltuender, ein inspirierender Impuls für den politischen Prozess. Ich war vor meiner Zeit als Landtagsabgeordnete Vertreterin für die Anwohner des Rheinischen Braunkohlereviers in der sogenannten Kohlekommission der Bundesregierung. Diese Kommission war einberufen worden, weil der parteipolitische Diskurs um den Kohleausstieg festgefahren war. Ohne meine Mitarbeit dort würde ich hier jetzt nicht stehen. In dieser Kommission saßen neben zwei Bürgerinnen überwiegend Verbandsexperten, Interessenvertretungen von Industrie, Umwelt und Gewerkschaften, aber auch politische Vertreterinnen. Das war ganz klar ein anderes Format als ein Bürgerrat, aber diese Kommission war ebenfalls ein beratendes Gremium, das sehr unterschiedliche gesellschaftliche Positionen zusammenbrachte. Das schaffte Akzeptanz für den vorgezogenen Kohleausstieg, aber auch für den Erhalt des Hambacher Waldes. Im Rückblick auf die Kohlekommission wurde mir aber auch eines klar: Es ist sehr schwer, die Lebenswirklichkeiten der Menschen indirekt zu vertreten. Und deswegen ist es so wichtig, die Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens als Experten für ihr eigenes Leben und ihr eigenes Lebensumfeld in politische Prozesse einzubeziehen. Dafür ist das neue Instrument der Bürger*innenräte von hohem Wert.“

In meiner Arbeit im Strukturwandel treffe ich insbesondere auf kommunaler Ebene immer wieder auf Aussagen von repräsentativen politischen Vertreterinnen und Vertretern, die glauben, sie seien doch als gewählte Vertreter*innen diejenigen, die die Interessen „aller“ Bürger*innen ausreichend vertreten. Ganz nach dem Motto: Ich bin doch gewählt, und das muss an Demokratie reichen!

Großes Diskussionsforum beim Bundes-Bürgerrat Ernährung.
Foto: Deutscher Bundestag/Robert Boden/Liane Haug/Mehr Demokratie

Da bin ich, da sind die Fraktionen der Grünen, der CDU und der SPD im Landtag Nordrhein-Westfalen anderer Meinung! Es ist ein klarer Mehrwert für uns als gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten, wenn wir in unserer Entscheidungsfindung durch Empfehlungen eines Bürgerrats beraten werden. Dass diese Beratung die verfasste Entscheidungsfindung keinesfalls ersetzen kann, war auch zentraler Bestandteil meiner Rede zur Einsetzung des Bürgerrats:

„Bürgerräte als beratende Ergänzung zur repräsentativen Demokratie haben nichts mit Parteipolitik zu tun. Es geht darum, für aktive Demokratie zu begeistern und einen weiteren Austauschraum zwischen Parlament und der Bürgerschaft zu schaffen. Es geht darum, die Lebenswirklichkeiten der Menschen im Land frühzeitig in Entscheidungsprozesse einzubinden. (…) Ein Bürgerrat berät uns als Parlament. Er ist kein Ersatz der parlamentarischen Demokratie. Es ist aber Aufgabe von uns Parlamentarier*innen, die Ergebnisse des Bürgerrats hier ernsthaft zu diskutieren. Parlamentsbeschlüsse, die auf Bürgerratsempfehlungen beruhen, genießen meist eine sehr hohe Akzeptanz, da ein Teilhabeprozess vorgelagert war. Hierfür ist es wichtig, dass das Gremium auch die Vielfalt unseres Bundeslandes abbildet. Deswegen formulieren wir im Antrag – ich zitiere–: „Bei der Auswahl ist sicherzustellen, dass ein repräsentativer Ausschnitt der Bevölkerung unter Berücksichtigung u.a. von Lebenslagen (z. B. Schichtarbeitende, Alleinerziehende), Diversität und Inklusion zufällig ausgesucht wird.“

Ich verstehe es als meine Aufgabe als Parlamentarierin unsere Demokratie zu schützen und zu kultivieren. Auch und insbesondere 80 Jahre nach der Befreiung von Ausschwitz und dem zu beobachtenden Rechtsruck sollte es die Aufgabe von uns gewählten Vertreter*innen sein, dafür Sorge zu tragen, dass die Demokratie, in der wir leben, lebendig gehalten und nicht durch Allianzen mit menschenfeindlichen Antidemokraten ausgehöhlt wird!

Der offene Austausch ist Kern eines Bürgerrates.
Foto: Deutscher Bundestag/Robert Boden/Liane Haug/Mehr Demokratie

„Im Orchester der Demokratie ist der Bürgerrat ein neues Instrument, dessen Klang bereichert. Bei allen derzeitigen Angriffen auf unsere Demokratie müssen wir deutlich sagen, dass wir niemals zulassen werden, dass dieses großartige und vielstimmige Orchester verstummt.“

Zum Weiterlesen: Auf Bundesebene wurde 2023 der erste Bürgerrat als beratendes Format für den Bundestag beschlossen. Das resultierende Bürger*innengutachten, das im vergangenen Jahr im Plenum diskutiert wurde, findet ihr hier. Mich haben besonders Zitate der Teilnehmenden wie „Der Bürgerrat hat mir in seiner Bandbreite gezeigt, dass demokratischer Austausch durchaus keine hohle Floskel sein muss. Die Diskussionen waren sehr respektvoll und man begegnete sich – trotz unterschiedlicher Sichtweisen – mit Wertschätzung“ (S.5) in meiner Arbeit für den NRW-Bürgerrat bestärkt.

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