Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften beschreibt für uns die Vielzahl der wirtschaftspolitischen und ökonomischen Ansätze, die darauf abzielen, dass wirtschaftliche Aktivitäten einem guten Leben für alle Menschen im Rahmen der planetaren Grenzen dienen, heute und in Zukunft und überall.
Danke an alle Teilnehmer*innen, die die Konferenz belebt haben, die sich Zeit und Raum genommen haben, ihren tag dem gemeinwohlorientierten Wirtschaften in NRW zu widmen. Eine ausführlichere Betrachtung findet Ihr weiter unten.
Danke an die rund 30 Referent*innen, die durch ihr Fachwissen und ihre Praxiserfahrung die Umsetzungsebenen und Handlungsmöglichkeiten für ein gemeinwohlorientiertes Wirtschaften in Nordrhein-Westfalen greifbar gemacht haben.
Diese Konferenz zeigt, dass wir mit dem Thema einen Nerv getroffen haben – Wirtschaften als Werkzeug zu sehen, die planetaren Grenzen einzuhalten und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen scheint uns DIE Herausforderung zu sein!
Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften in NRW – Arbeitsthesen aus dem parlamentarischen Raum
Als Landtagsabgeordnete tragen wir, Antje Grothus und Gregor Kaiser, wirtschafts- und umweltpolitische Verantwortung. Wir erleben gesamtgesellschaftlich einen Roll-Back hin zu Protektionismus und den Lösungen von gestern, weg von zukunftsgewandten Kooperationen und mutigen, manchmal experimentellen Wegen. Daher wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass auch im parlamentarischen Raum die Pioniere einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft von morgen sichtbar werden und es Räume für Utopien und Visionen gibt. Räume, in denen die vielen bestehenden Ansätze – die vielen kleinen Winde von der kommunalen bis zur Landesebene, die dem technozentrischen Mainstream entgegenwehen und ihn zum Mitdrehen animieren wollen – miteinander in den Austausch kommen.
In drei Veranstaltungen – Oktober 2023, Februar 2024 und Juni 2024 – haben wir uns deswegen unter dem Arbeitstitel „Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften NRW“ (GOW NRW) der Frage genähert, wie Wirtschaften für ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen aussehen kann – und wie dies ganz konkret für Stakeholder aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft oder Zivilgesellschaft heute schon aussieht. Wir haben uns mit der Veranstaltungsreihe bewusst an den Grenzen zwischen bestehender Best-Practice und der Suche nach Antworten außerhalb des heute schon Umsetzbaren bewegt – shifting boundaries!
Für den inhaltlichen Deep Dive stellen wir Dir als Leser*in gerne die Zusammenfassungen der ersten beiden Fachgespräche im Landtag im Dezember 2023 und Februar 2024 zur Verfügung. Außerdem haben wir Dir auf YouTube die Keynotes der großen Konferenz im Juni hochgeladen.
Wir sind uns darüber bewusst, dass die Workshops bei unserer Großveranstaltung mit über 150 Teilnehmenden lediglich die Oberfläche der Themen und Schwerpunkte des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens berühren konnten. Deshalb werden wir im kommenden Jahr mit weiteren Formaten inhaltlich arbeiten die Zusammenarbeit der gemeinwohlorientierten (Wirtschafts-) Akteur*innen in NRW fördern . Aus diesem Grund wollen wir auch nicht von Workshopergebnissen sprechen, sondern Arbeitsthesen zurückspielen, mit denen wir Dich als Teilnehmende*n oder Interessierte*n mit auf die Reise zu den kommenden Aufgaben nehmen wollen.
Thesen zur Dynamik des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens in NRW
- Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften ist keine Handlungsanweisung, sondern eine Vielzahl von Handlungsansätzen und Wandeltheorien.
- Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften ist eine Bewegung. Diese Bewegung gilt es als Ökosystem auszubauen und zu stärken.
- Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften ist zumeist mit finanziellen Benachteiligungen gegenüber gewinnorientiertem Wirtschaften konfrontiert. Diese gilt es abzubauen.
- Es ist Herausforderung und Stärke zugleich, dass es innerhalb des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens eine Vielzahl von Ansätzen gibt. Herausfordernd ist, sicherzustellen, dass sich die Bewegung nicht in ihren Abgrenzungen und Unterschiedlichkeiten verstrickt. Es ist die Stärke, dass über die Pluralität auch vielfältige Handlungskontexte wie beispielsweise Unternehmen oder Kommunen erschlossen und adressiert werden können.
- Gerade vor dem Hintergrund der Vielfältigkeit ist einfache und zugespitzte Kommunikation von großer Bedeutung. Dabei sollten die diversen Ansätze parallel zueinander auf ein gemeinsames Zielbild einzahlen. Ein übergeordnetes „Netzwerk der Netzwerke“ ist anzudenken.
- Das GOW in NRW ist trotz seiner Pluralität zumeist in der Nische aktiv. Das Spannungsfeld zwischen Nische und Mainstream gilt es zu adressieren. Zum einen sind Experimentierräume wie beispielsweise Reallabore weiterhin zu kultivieren – hier gilt es besonders, Denk- und Handlungsmuster des Alten zu identifizieren und neue Antworten vorzuleben. Zum anderen braucht es für die Ausweitung von Wirkung die Erschließung neuer Handlungskontexte. Das kann beispielsweise die zunehmende Einbindung in den ökonomischen Mainstream, zum Beispiel in Konzernstrukturen, bedeuten. Hierzu gilt es, vertikale und horizontale Schnittstellen zu Akteuren zu schaffen, die bisher nicht gemeinwohlorientiert agieren.
- Es braucht geschützte Austauschräume, um Verständnis für Alltagshindernisse und Handlungsmaximen zu gewinnen.
- Neben den Definitionen der nationalen Strategie für soziale Innovationen und gemeinwohlorientierte Unternehmen (SIGU) könnte eine Definition gemeinwohlorientierten Wirtschaftens eine wertvolle Grundlage für die gezielte Förderung gemeinwohlorientierten Wirtschaftens in einer breiteren Akteurslandschaft werden.
- Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Als solche braucht es partizipative Räume, in denen sich auch Bürger*innen als Transformationsakteur*innen verstehen können und zum gemeinsamen Handeln befähigt werden.
- Der Begriff der mentalen Infrastrukturen wurde als zentraler Begriff eingeführt. Hier geht es um die Veränderung grundlegender Annahmen – Stichwort Bewusstseinswandel. Ein Beispiel: Welche Orte des Wirtschaftens können neben dem Markt (beispielsweise durch gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften) entstehen?
- Wir erleben im Nachgang zur Veranstaltungsreihe einige angestoßene Wandelprojekte. Wir erleben, wie wertvoll es ist, wenn sich die Akteure der Bewegungen begegnen und ihre Lösungsansätze und Anwendungsfelder zusammenbringen. So entstehen Best-Practice-Beispiele und Erfahrungswissen.
Thesen zur Wirtschaft:
- Wir erkennen, dass es die Unterscheidung in Nischen- und Mainstreamakteuren auch im unternehmerischen Kontext gibt.
- Wir gehen davon aus, dass es unterschiedlicher Strategien bedarf, um Unternehmen mit unterschiedlichen Gemeinwohlniveaus zu adressieren und so von unterschiedlichen Startpunkten aus wirksam zu werden.
- Pioniere des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens gilt es, durch passende Rahmenbedingungen wie u. a. eine nachhaltige Beschaffung der Verwaltung zu unterstützen. So sollen sie Sogwirkung und Vorbildcharakter entwickeln können. Räume für den Austausch innerhalb der Pionier-communities und die Entwicklung von lokalen Clustern sind wertvoll.
- Mit den zunehmenden Berichtspflichten besteht ein Anreiz auch für Akteure des Mainstreams, ihre Geschäftsmodelle und damit den Kern ihres Wirtschaftens zu überdenken. Hier braucht es begleitende und unterstützende Rahmenbedingungen, die Unternehmen in Richtung resilienter und wachstumsunabhängiger Geschäftsmodelle transformieren.
- Die Kommunikation vergesellschafteter / externer Kosten wie Klimafolgekosten sollte als Teil des Berichtswesens sowie der Kommunikation gemeinwohlorientierter Unternehmen gedacht werden.
- GOW sollte zentral und bereichsübergreifend in die unternehmerischen Steuerungsprozesse eingebunden und nicht in einzelnen Funktionseinheiten ausgeklammert werden.
- Es braucht Austauschräume in der Schnittstelle zwischen Nische und Mainstream, in denen ein „Voneinander-Lernen“ stattfinden kann. Hier können Nischenunternehmungen in die Skalierung und Mainstreamunternehmungen in die Gemeinwohlorientierung und wachstumsunabhängige Resilienz kommen. Dadurch können Vorurteile und Widerstände abgebaut und ungewöhnliche Kooperationen entstehen. Wir sehen in der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Weiterentwicklung unternehmerischer Praxis Potential – hierfür brauchen Unternehmen den Mut, eigene Konzepte zu teilen.
- In Ergänzung zu öffentlichen Austauschräumen sind vertrauliche Austauschzirkel auf Entscheider*innenebene einzurichten. Auch Unternehmensnachfolger*innen sind durch gesonderte Formate zu adressieren.
- Es braucht ein gemeinsam getragenes Zielbild und eine daraus entstehende, anschlussfähige und verständliche Kommunikationsstrategie. Messbarkeit, Anwendbarkeit und Greifbarkeit der Konzepte können bei der Kommunikation helfen.
- Die Rolle des Finanzmarktes bei der Transformation von Geschäftsmodellen gilt es als Variable außerhalb des Einflusses der Landespolitik zu begleiten und strategisch zu berücksichtigen.
- Für die Transformation von Unternehmen braucht es Menschen. Diese zu gewinnen und für GOW zu begeistern ist auch im unternehmerischen Kontext eine zentrale Herausforderung – das gilt in besonderer Weise für die Mitarbeitenden. Innerbetriebliche Partizipation und innovative Rechtsformen wie das Verantwortungseigentum können dabei unterstützen.
Thesen zur Kommunalpolitik:
- Kommunen können Vorreiter und Vorbild sein.
- Auf kommunaler Ebene beobachten wir, dass eine gute Analyse der Low-Hanging-Fruits zu schnellen und weitreichenden Erfolgen führen kann. Koalitionen der Willigen können mit, überkommunalen Netzwerken für den notwendigen Informationsfluss sorgen. Einfache Maßnahmen wie Ausschlusskriterien in der Beschaffung führen zu einem Wandel, noch bevor tiefgreifende strukturelle Veränderungen anlaufen. Die lokalen Wirtschaftsförderungen sind Schlüsselakteure, die schnell gemeinwohlorientiert Wirkung entfalten können.
- Besonders die vielen Ehrenamtlichen auf kommunaler Ebene brauchen Wissensaufbau und -austausch. So kommen wirkungsvolle Handlungen entsprechend einer Open-Source-Logik schnell und aufwandsarm in die Breite.
- Wir sehen den Bedarf tiefgreifender struktureller Veränderungen, die es vermutlich mit langem politischem Atem anzugehen gilt. Hier blicken wir auf interdisziplinäre, fachbereichsübergreifende Verwaltungsstrukturen, die tiefgreifende Reform von Beschaffungs- und Ausschreibungskriterien das Handeln kommunaler Betriebe sowie kommunaler Beteiligungen oder den Umgang mit kommunalen Flächen.
- Wir wollen die Machbarkeitsstudie zur Umsetzung einer Gemeinwohlbilanzierung in der Stadt Bielefeld teilen.
Thesen zur Landespolitik:
- Mit der Strategie für soziale Innovationen und gemeinwohlorientierte Unternehmen (SIGU)hat das BMWK einen ersten Meilenstein gesetzt, um GOW in die Breite zu tragen und die vielerorts geleistete Pionierarbeit mit staatlichen Maßnahmen zu unterstützen. Die Strategie identifiziert viele auf der Konferenz diskutierte Handlungsansätze, wie den Ausbau der Unternehmens- und Gründungsberatung oder den Anschub eines Impact-Investment-Fonds. Die Übersetzung, Anwendung und Ergänzung der Bundesstrategie auf die Landesebene kann als logischer nächster Schritt betrachtet werden, wobei die Landesregierung mit den Maßnahmen zur Unterstützung gemeinwohlorientierter Gründungen bereits einen ersten Schritt in die richtige Richtung gegangen ist.
- In den Werkstattgesprächen konnten wir beobachten, dass GOW auch in Kommunen, Landesbetrieben, kirchlichen Trägern, der Zivilgesellschaft oder in Verbandsstrukturen relevante Wandelimpulse setzen kann. Aus diesem Grund gilt es, die bestehenden Strategien durch Handlungen und Konzepte aus der Praxis abseits der unternehmerischen Praxis zu ergänzen.
- Steuerpolitische Maßnahmen, die Gemeinwohlorientierung fördern, sind auf allen politischen Eben zu prüfen.
- Eine direkte Unterstützung des GOW in NRW könnte kurzfristig die Öffnung, Vereinfachung und Übersichtlichkeit der gemeinwohlbezogenen Förderlandschaft umfassen. Langfristig ist über eine Reform des Vergaberechts und die Einführung einer gesamtheitlichen und gemeinwohlorientierten Wohlstandsmessung neben dem BIP inklusive der Entwicklung von Gemeinwohlstandards nachzudenken.
- Bei der Vergabe von transformationsspezifischen Geldern wie beispielsweise den Strukturfördermitteln im Rheinischen Revier bzw. dem Ruhrgebiet oder der landesseitigen Umsetzung der Bund/Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) sollte Gemeinwohl eine besondere Rolle spielen.
- Wir sehen in der Integration von gemeinwohlrelevanten Themen wie der BNE oder der pluralen Ökonomik in Curricula von Bildungseinrichtungen und der Förderung entsprechender Forschung einen weiteren wichtigen indirekten Hebel für tiefgreifenden Wandel. Auch die Vernetzung entsprechender Bildungsakteure kann hier ein Hebel sein.
- Die Verbesserung des Gesellschafts- und Genossenschaftsrechts zur Förderung des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens ist, wie es in der SIGU adressiert wird, auch für die Landesebene zu prüfen.
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