Ein Jahr nach der polizeilichen Räumung von Lützerath möchte ich gerne mit euch eine Rede teilen, die ich anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Lützerath lebt weiter“ von R-mediabase im KOMM in Düren am 10.09.2023 gehalten habe. Auch im Interview mit WDR WestPol vom 21.01.2024 habe ich auf das Jahr nach der Räumung zurückgeblickt.
Utopie statt Dystopie
Liebe Gäste,
liebe Fotografen und Fotografinnen,
liebe Wegbegleiter*innen,
liebe klimabewegten Mitstreiter*innen,
starten möchte ich mit einem großen Dankeschön, an all diejenigen, die diese bewegende Ausstellung mit unzähligen Stunden, harten Tagen und langen Nächten hinter der Kamera, vor dem Bildschirm hier in unser aller Revier möglich gemacht haben. Es ist mir eine Ehre und Freude, sie eröffnen zu dürfen – von daher auch vielen Dank für die Einladung.
Ich freue mich, mit euch hier sein zu dürfen, denn diese Ausstellung zeigt in Bildern, was wir alle erlebt haben.
Die meisten von euch beschäftigen sich wie ich seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, mit der Klima-, Umwelt- und Heimatzerstörung im Rheinischen Revier. Und so ist diese Ausstellung Zeugnis einer gesellschaftlichen Dynamik, die ich mir nicht zu träumen gewagt hätte.
Ich weiß noch, wie wir mit nur einer Handvoll Menschen angefangen haben, die Zivilgesellschaft und die Klimabewegung im Rheinland aufzubauen, ein Netzwerk aufzubauen zusammen mit den zahlreichen Gruppierungen, Vereinen und Initiativen, die in Teilen bereits seit dem Aufschluss der Tagebaue in den siebziger Jahren aktiv waren und sind. Wer hätte denn damals gedacht, dass wir innerhalb von wenigen Jahren auf Großdemonstrationen mit 50.000 Menschen im Hambacher Wald und mit 40.000 Menschen in den Garzweiler Dörfern demonstrieren würden?
Die Einladung zu dieser Ausstellung beginnt mit den Worten: „Nicht weit von Düren […] und von vielen unbeachtet befinden sich die größten und tiefsten Löcher Europas“. Zum Glück sind die hier ausgestellten Fotographien der Beweis, dass es eben auch unzählige Menschen gibt, die sie beachten. Die sich informieren, die sich engagieren und die demonstrieren. Und damit auch inspirieren. Wie ihr wisst bin ich Kerpenerin und in der Kolpingstadt zitiere ich immer gerne ihren Namensgeber: „Wer Mut zeigt, macht Mut.“
Mut haben alle, die weiterhin für die Einhaltung des 1,5 Grad Limits kämpfen.
Mut hatten diejenigen, die die Initiative Alle Dörfer bleiben gegründet haben.
Mut hatten diejenigen, die im Sommer 2020 entschlossen beschlossen haben: wir bauen in Lützerath und in den Keyenberger Dörfern etwas richtig Großes auf.
Mut hatten diejenigen, die den Abriss der L277 zum Anlass genommen haben, eine Mahnwache für eine Nacht anzumelden, die dann zu einer Mahnwache für eine Woche, dann für einen Monat, dann für Jahre, wurde.
Und Mut haben diejenigen, die jetzt weiterhin unterwegs sind als „Mahnwache Lützerath lebt!“.
Gleichzeitig haben sich Umsiedlungsbetroffene dafür eingesetzt, dass alle Dörfer bleiben. Und bundesweit, ja aus ganz Europa, haben Menschen, Initiativen und Organisationen Druck gemacht, dass möglichst viel Kohle im Boden bleibt.
Ihr dokumentiert diese Momente auf eindrucksvolle Weise und zeigt, wie aus wenigen Vorreiter*innen hier bald die Herzkammer einer neuen gesellschaftlichen Bewegung wurde.
Hättet ihr mich am 23. Februar 2022 gefragt, ob Lützerath stehen bleiben wird – ich hätte vermutlich gesagt: das wird brockenschwer, aber es ist möglich. Doch am nächsten Tag startete Putin nach der Krim-Annexion die nächste Eskalationsstufe seines unfassbaren Angriffskriegs gegen die Ukraine. Plötzlich merkten wir in Deutschland, wie abhängig wir sind, vom Öl und Gas der Diktatoren. Um in der Zeitenwende die nationale Energiesicherheit zu bewahren, beschloss der Bundestag unter anderem, dass einige Kohleblöcke im Rheinischen Revier wieder ans Netz gehen bzw. länger am Netz bleiben sollen. Schlagartig zeigten sich die energiepolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte, als wir Gas durch Kohle ersetzten. Für Lützerath hieß das: Pest statt Cholera.
Vor fünf Jahren schrieb die Klimabewegung Geschichte, als sie den Erhalt des Hambacher Waldes ermöglichte. Und nun wurde sie selber in den Strudel der Geschichte gezogen. Gezeichnet von der Angst vor einem kalten Krisenwinter schnellten die Prognosen für den Kohlebedarf aus dem Tagebau Garzweiler in die Höhe.
Ohne juristischen Ausweg vor den Gerichten, ohne juristischen Ausweg für Eckhard Heukamp, ohne Kompromissbereitschaft beim Kohlekonzern und ohne energiepolitischen Spielraum, verkündeten Markus Krebber, Vorstansdsvorsitzender der RWE AG, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und unsere NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur am 04.10.2022, dass Lützerath geräumt und abgebaggert werden würde.
Mich hat diese Ankündigung überrascht und enttäuscht. Ohne parlamentarische Befassung war es nicht möglich Fragen zu stellen, Anmerkungen anzubringen. Und ohne öffentliche Diskussion der Studienergebnisse konnten wir auch nicht gemeinsam und vor der Entscheidung nach Möglichkeiten suchen, eine Tagebauführung zu finden, die die Energieversorgung sichert und Lützerath erhält. Ich habe immer wieder versucht mit differenzierten Beiträgen die Entscheidungen und Studiengrundlagen bezüglich Lützerath zu verstehen, zu erklären und wo nötig zu hinterfragen.
Wie ihr wisst, entbrannte letzten Herbst und Winter eine breite politische und gesellschaftliche Diskussion um die Richtigkeit der Räumung Lützeraths. Auf einer Bundesdelegiertenkonferenz war unsere Partei in dieser Frage bis auf wenige Stimmen 50:50 geteilt. Doch der Protest konnte nicht verändern, dass im Januar diesen Jahres der Weg für RWEs Kohlebagger polizeilich freigemacht wurde.
Auch wenn ich die viel kritisierte Vereinbarung differenziert betrachtet und in einem Blogbeitrag kommentiert habe mit „Zwischen „Ja, aber..“ und „Nein, obwohl“„, habe ich mich öffentlich dazu bekannt, die ich die Räumung Lützeraths nicht mit meinem Gewissen und meiner Haltung vereinbaren kann. Ich bin ehrlich zu euch: nicht bei allen habe ich mir damit neue Freunde gemacht. Aber es war die richtige Entscheidung.
Eine richtige Entscheidung, nachdem ich viel versucht hatte um die Räumung zu verhindern, sogar die erste Mahnwache meines Lebens anmelden wollte und dazu mit Gleichgesinnten im Austausch war.
Als Abgeordnete aus dem Rheinischen Revier, als Tagebauanrainerin und als Kind der Zivilgesellschaft, die die Räumung des Hambacher Waldes mit dem tragischen Tod Steffen Meyns am 19. September 2018 während der Räumung des Hambacher Waldes miterlebt hat, die traumatisierte Menschen auf allen Seiten kennt, musste und wollte ich hier meine ganz persönliche, klare Position beziehen und habe für ein Innehalten geworben.
Apropos: Der Erhalt des Hambacher Waldes jährt sich in wenigen Tagen zum fünften Mal – im Vergleich dazu sehen viele „Lützerath“ als ein Scheitern.
Doch eure Ausstellung zeigt, dass diese schwarz-weiß-Brille zu kurz greift. Sie zeigt ein buntes Bild.
All die Momente, all die Verbindungen, all die geteilten Erfahrungen sind doch Zeugnisse eines Gewinns, der unräumbar ist.
Aus meiner Arbeit im Landtag weiß ich, dass wir immer starke Impulse aus der Gesellschaft brauchen werden, um Veränderungen anzustoßen. Diese Impulse brauchen Vorbilder, und genau solch ein Vorbild ist auch Lützerath. Viele Menschen haben – wie damals schon nach Hambach – den Geist Lützeraths in ihr Engagement aufgenommen und setzen sich weiterhin oder neuerdings für Klimagerechtigkeit ein. Ihnen gibt diese Ausstellung eine Bühne und einen Resonanzraum, auf dass wir noch an vielen Orten Partizipation einfordern, Strukturen wandeln und Dinge bewegen können.
Mit Blick auf die ausgewählten Motive:
Allen Engagierten aus der Bürger- und Zivilgesellschaft wünsche ich in Anlehnung an das Foto mit Ekkehard, dass sie es weiter schaffen an einem Strang zu ziehen.
Und auch, wenn die Haltestelle zur Abfahrt Richtung Utopie, die Busstation, real nicht mehr existiert, dafür aber auf einem der Fotomotive dieser Ausstellung:
Die Utopie, der Geist Lützeraths lebt weiter in vielen Herzen und Köpfen.
Lebt weiter bei Anna Kante, einer Genossenschaft für selbstbestimmtes Wohnen und Arbeiten an der Kante in Berverath,
sie lebt weiter mit der Dörfer-Konferenz Ende diesen Monates in Kuckum,
lebt weiter mit der Erntedankandacht und anschließendem pop-up Biergarten am 1.10. in Manheim,
lebt weiter in Wandelwerkstätten, in Dörfern der Zukunft, auf der temporären Universität Hambach in Morschenich, in Ausstellungen und Projekten. Und findet hoffentlich weitere dauerhafte Räume, auch zur Dokumentation eurer wertvollen fotografischen Arbeiten, hier bei uns, in unser aller Revier.
Vielen Dank euch allen von R-mediabase – für diese Ausstellung,
für die Auswahl der Motive,
für bunt statt schwarz-weiss,
für Utopie statt Dystopie!
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